Sonntag, 30. November 2008

Die Schnauze voll!

Hallo liebe MitstreiterInnen,

als ich mich dazu entschloss zu studieren, ging diesem Entschluss ein jahrelanges Abwägen, Argumentieren, Verwerfen, Verzweifeln und Kämpfen voraus. Es gab tausend Gründe um meine zweite Chance nicht zu nutzen: das Alter (vor allem dieses!), Kinder, Sicherheitsdenken, Existenzängste. Ich hatte bis zu meinem endgültigen Entschluss soziale Arbeit zu studieren 10 Jahre als Grafik-Designer gearbeitet, hatte mittlerweile 2 Kinder und war kreuzunglücklich mit meinem Beruf und dem bisherigen Verlauf meines Lebens. Mein Hirn dürstete es nach neuem Input, mein Leben schrie nach Veränderung. Gute Freunde und gutes Feedback zu meiner Entscheidung, Soziale Arbeit zu studieren, wischten letzendlich alle meine lange gehegten Zweifel beiseite, und ich begann meinen "zweiten Lebensweg" aktiv in Angriff zu nehmen.

Als ich meinen Studienplatz zugesprochen bekam, war meine Freude ungehalten groß. Jetzt konnte ja nichts mehr schief gehen. Davor kündigte mir mein Arbeitgeber nach dem Jahr, welches ich in Elternzeit verbracht hatte (danke für die Erleichterung meines Studienwunsches), es folgte ein halbes Jahr Arbeitslosigkeit, welches ich der weiteren Erziehung meines Sohnes widmete. Dann ging die Beziehung in die Brüche, es folgte Auszug aus der gemeinsamen Wohnung etc.

Aber ich war frohen Mutes ob der neuen Chancen, die sich mir auftaten, denn – so meine Überzeugung – aus allem Ungemach wächst immer etwas neues, und manchmal auch etwas gutes. Eine neue Wohnung war gefunden, der Studienbescheid kam darauf wie erwähnt ins Haus geflattert, ich wusste, dass auch die Arbeitslosigkeit bald ein Ende finden musste. Ich kümmerte mich weiterhin um meine Kinder und machte mir schon konkrete Gedanken ob der späteren Finanzierung des Gesamtunternehmens "Davids zweite Chance".

Im Zuge meiner Recherchen diesbezüglich stiess ich recht bald auf einige schwerwiegende Hürden: Woher das Geld aufbringen um Studium, Leben und Kinder zu finanzieren? Und im Zuge der Lösung dieser Probleme wurden diese immer akuter und größer: Ich hatte mit keiner finanziellen Unterstützung zu rechnen. Die Begründung: "Zu alt!"

Zu alt?? Mit 35 Jahren?? Waren wir in dieser Gesellschaft schon so weit? Ich dachte das käme erst mit 50, dieses Gefühl überflüssig und unerwünscht zu sein... BaFög? Bis 30! Studienkredit? Bis 31! Verbilligter Krankenkassenbeitrag? Fehlanzeige! Billigeres Konto, oder günstigerer Handyvertrag? Bis 27! Stipendien? Eher schlecht... usw. Jetzt war ich baff. Und deprimiert... Miete, Studium, Essen, Kinder... alles schien unvereinbar zu sein. Ich nahm allen Mut zusammen und dachte mir "Jetzt erst recht!" Mittlerweile hatte sich herausgestellt, dass ich wegen meiner Kinder keinen Studienbeitrag zu zahlen hatte, aber wie geht es denen, die über 30 sind und keine Kinder haben? Die werden mit knapp 600 Euro Semestergebühren noch zusätzlich "abgestraft", dafür, dass sie sich gut qualifizieren wollen?

Im Augenblick habe ich 3(!) Jobs neben dem Studium und erhalte den Status Quo mit meinen Kindern, damit die Trennung von der Mutter nicht zu großen Schaden anrichtet, ich habe sie 3,5 Tage (zum Glück geht diese Rechnung auf). Auch habe ich großes Glück, dass die Mutter der Kinder so gut mitspielt (danke, Sara) und auf Unterhaltszahlungen verzichtet. Heißt aber für mich, dass ich 7 Tage in der Woche arbeite oder studiere. Ich habe keine Zeit meine sozialen Kontakte zu pflegen, keine Aussicht auf nur annähernd so etwas wie Urlaub. Schlechte bis gar keine Absicherungen in Form von Versicherungen etc., muss jeden Cent umdrehen (da bin ich geübt, das geht...) und bin aber mittlerweile so geschlaucht von dem hohen Tempo, dass mir abverlangt wird, dass mein Studium beginnt darunter zu leiden.

Und jetzt kommt Wut ins Spiel. Denn ich fühle mich wie ein Student zweiter Klasse. Und ich habe noch Glück, denn ich habe die Möglichkeit zu arbeiten, habe eine billige Wohnung und einen unbändigen Willen. Aber wie lange wird das noch gut gehen? Wann muss ich aufgeben? Und ich denke an diejenigen, denen die Studiengebühren nicht erstattet werden. Die dürfen schön zahlen und bekommen dafür das Recht auf Bildung nach Grundgesetz? Was aber wenn sie wollen und es schlichtweg nicht können, weil sie vielleicht allein erziehend sind, oder schwer krank waren, oder sich schlichtweg einen Spalt breit vom staatlichen Ideal des Karrieremenschen weg begeben haben? Werde ich abgestraft für eine späte Etnscheidung?

Mit welchem Recht? Wie argumentiert eine Krankenkasse? Warum billigeres Konto bis 27 Jahre? Wieso kein Kredit über 30? Dies sind einige der vielen Fragen, die mich beschäftigen, und die ich mit Eurer Hilfe zu klären versuche!

Daher ist es wichtig, dass ihr, die ihr guten Willens seid Euch weiterzubilden und Euch aus welchem Grund auch immer spät entschieden oder berufen gefühlt habt zu studieren, dass ihr die Chancengleichheit mit den übrigen Kommilitonen zum Ausdruck bringt. Ein erster Schritt wäre mir hier Feedback zu geben. Fakten zu liefern, selbst zu recherchieren und hier zu posten. Oder einfach nur eure (anonymisierte) Lebensgeschichte zu schreiben, und die Schwierigkeiten und Widrigkeiten, die sich Euch aufgrund Eures Alters in den Weg stellen.

Plakatiert in Euren Unis, Fachhochschulen, regt Diskussionen an, geht in die Vorlesungen und sprecht die Themen an. Wer möchte kann Promomaterial in Form von PDFs von mir bekommen.

Macht mit, kämpfen wir gemeinsam für ein barrierefreies Studium ohne Altersgrenzen! Öffnen wir die Augen der Politiker und Entscheider! Bildung ist ein Menschenrecht!